Ruhig und in unbeirrbarer Langsamkeit erzählt Jim Jarmusch in seinem ersten Film seit der Vampir-Romanze „Only Lovers Left Alive“ (2013) eine kleine, feine Arbeitergeschichte. Wer den König des amerikanischen Minimalismus schätzt, darf sich freuen: „Paterson“ ist einer der besten Filme des Jahres.
Paterson, New Jersey, ist, zumindest nach US-Standards, eine unscheinbare Stadt: rund 150’000 Einwohner, gelegen am äussersten Rand der New Yorker Agglomeration, gezeichnet von einer Industrie, deren beste Zeiten inzwischen mehr als ein Jahrhundert zurück liegen. Und doch spielt der von Gründervater Alexander Hamilton ins Leben gerufene Ort gerade in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eine gewisse Rolle: Der legendäre Komiker Lou Costello wurde hier geboren, ebenso der von Bob Dylan unsterblich gemachte Boxer Rubin „Hurricane“ Carter sowie die Poeten William Carlos Williams und Allen Ginsberg.
Sie alle zieren die Lokalgrössen-Fotowand von Doc (Barry Shabaka Henley), dem Betreiber der Stammbar von Jarmuschs Hauptfigur, einem Busfahrer und Hobby-Dichter, der – natürlich rein zufällig – selber Paterson heisst. Dieser wird vom hervorragenden Adam Driver („Girls“, „Frances Ha“, „Star Wars: The Force Awakens“) gespielt und ist eigentlich ein untypischer Jarmusch-Charakter: Er ist kein Bohemien, kein Outlaw, kein Exzentriker. Er geht einer geregelten Arbeit nach, er schreibt Gedichte, er bewohnt mit seiner Frau Laura (Golshifteh Farahani) ein kleines Häuschen, abends geht er mit seinem Hund spazieren und schaut bei Doc auf ein Bier vorbei. Gezeigt wird eine Woche aus diesem Leben.
Insofern erinnert der Film, auch dank des Gastauftritts von Masatoshi Nagase, am stärksten an „Mystery Train“ (1989), Jarmuschs simpelstes, neben „The Limits of Control“ (2009) vielleicht auch eigenartigstes Werk. Zelebriert wird auch hier die Poesie des Stillstands, die melancholische Schönheit des Alltags, die anrührende Seltsamkeit des Lebens. Antagonisten kennt der Film keine, zusammengesetzt ist er aus neutral inszenierten Miniaturen: Paterson belauscht einen aufstrebenden Rapper (Method Man) in einem Waschsalon; er unterhält sich mit einer Gang über das Risiko, einen Hund zu halten; er hört sich das Gedicht eines Mädchens an. In diesen Szenen stecken Herz, Humor, mitunter auch Lakonie, doch Jarmusch macht sich zu keinem Zeitpunkt über irgend jemanden lustig.
„Paterson“ – wie „Mystery Train“ oder auch „Night on Earth“ (1991) – ist somit letztlich eine verkappt optimistische Liebeserklärung an das Leben und die Menschen, eine stille Ode an das Gute und Schöne in einer Welt, die es sich im Zeitalter von Trump und Co. leisten könnte, ein bisschen mehr wie Jarmuschs Paterson, New Jersey, zu sein.
Kinostart Deutschschweiz: 22.12.2016 / Streambar auf filmingo und cinefile
Filmfakten: „Paterson“ / Regie: Jim Jarmusch / Mit: Adam Driver, Golshifteh Farahani, William Jackson Harper, Chasten Harmon, Barry Shabaka Henley, Masatoshi Nagase / USA / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
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