Netflix hat die zweite Adaption von «Snowpiercer» in Angriff genommen. Die aus Bong Joon-hos gleichnamigem Film bekannte Geschichte bietet auch in Serienform dank des frostig-originellen Endzeitszenarios solide bis gute Unterhaltung. Auch wenn der Handlungsort auf den grossen Zug begrenzt ist, kommt kaum Langeweile auf, denn was in der ersten Staffel als spannende Detektivstory beginnt, entwickelt sich in der zweiten zum rasanten Rebellionsdrama. Inhaltlich sollte man dennoch nicht viel mehr als die übliche Science-Fiction-Kost erwarten.
Die Serie basiert auf dem französischen Comic «Le Transperceneige», der bereits 2013 von Bong Joon-ho («Parasite») adaptiert wurde. «Snowpiercer» war sein erster Film mit einem prominenten englischsprachigen Cast, der ihn nach Genreperlen wie dem emotionalen Thriller «Memories of Murder» (2003) und dem sozialkritischen Monsterfilm «The Host» (2006) auch einem westlichen Publikum bekannt machte. In seiner Filmversion nahm der Südkoreaner die etwas alberne Grundprämisse des durch ein Perpetuum Mobile angetriebenen Zuges und arbeitete die gesellschaftskritischen Dimensionen fein heraus, fügte einige spektakulär choreografierte und erinnerungswürdige Actionszenen hinzu und inszenierte so ein kompaktes und cleveres Science-Fiction-Actiondrama, das thematisch ähnlich gelagerten Filmen wie «Elysium» (2013) klar den Rang ablief. Dass Bong auch bei der Serienversion von Josh Friedman («Terminator: The Sarah Connor Chronicles») und Graeme Manson («Orphan Black») als Produzent mit an Bord ist, merkt man jedoch kaum.
«Die Welt ist aufgrund einer verheerenden Klimakatstrophe unbewohnbar geworden und quasi zu Eis erstarrt. Einzig der titelgebende gewaltige Zug Snowpiercer dreht einsam seine Runden um die Erde und hat die letzten lebenden Menschen an Bord.»
Die Welt ist aufgrund einer verheerenden Klimakatstrophe unbewohnbar geworden und quasi zu Eis erstarrt. Einzig der titelgebende gewaltige Zug Snowpiercer dreht einsam seine Runden um die Erde und hat die letzten lebenden Menschen an Bord. Seit der Abfahrt vor sieben Jahren hat sich eine in mehrere Klassen unterteilte Gesellschaft etabliert: Die Reichen fahren vorne mit und geniessen aberwitzigen Luxus, während in den hinteren Waggons Armut und Hungersnot dominieren. Naturgemäss brodelt es in der Gemeinschaft und eine Rebellion bahnt sich an.
Die 2020 gestartete Serie greift die gleichen gesellschaftlichen Themen wie Bong Joon-hos Film auf, schlägt aber aufgrund eines Mordplots einen deutlich anderen Ton an und entpuppt sich in der ersten Staffel als spannendes Whodunnit in den engen Korridoren des Zuges. Als eine Reihe von Morden die Passagiere in Angst und Schrecken versetzt, wird mit Andre Layton (Daveed Diggs) ein «Tailie» – also jemand, der in den hintersten Wagen des Zuges wohnt – wegen seiner Vergangenheit als Polizist unfreiwillig zum Detektiv des Zuges berufen. Und das ist tatsächlich ein cleverer Weg, um die wichtigsten der vielen Figuren, die den über tausend Wagen langen Zug bevölkern, kennenzulernen und ihnen genug Kontext zu geben.
«Die 2020 gestartete Serie greift die gleichen gesellschaftlichen Themen wie Bong Joon-hos Film auf, schlägt aber aufgrund eines Mordplots einen deutlich anderen Ton an und entpuppt sich in der ersten Staffel als spannendes Whodunnit in den engen Korridoren des Zuges.»
Der Alltag auf dem Zug ist von einer strengen Hierarchie geprägt, die wertvolle Arbeitskräfte mit besserem Essen belohnt, Ungehorsam jedoch mit archaischen Strafen quittiert. An der Spitze der Nahrungskette steht der mysteriöse Erbauer der Wundermaschine, Mr. Wilford, den man allerdings seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Nur die Chefin der «Hospitality», Melanie Cavill (Jennifer Connelly), hat einen direkten Draht zum Boss und hält das fragile Konstrukt im Zug, zwischen Passagieren, Sicherheitsleuten und Ingenieuren, im Gleichgewicht. Doch die Aufklärung der Mordserie wirft nicht nur moralische Fragen auf: Auch der Verblieb des quasi religiös verehrten Mr. Wilford wird angezweifelt und als zweites grosses Rätsel angeführt, das serientypisch mit einem fiesen Cliffhanger endet.
Die zweite Staffel entfernt sich stark vom Räuber-und-Gendarm-Charakter der ersten Folgen und ist dafür geprägt von spannenden politischen Intrigen und einer aufwühlenden revolutionären Stimmung. Das gibt dem in einer angenehm ungewohnten Rolle besetzten Sean Bean als Joseph Wilford mehrfach Gelegenheit, reichlich Öl ins bereits heftig lodernde Feuer zu giessen. Bean kehrt seine bekannte Rolle als rechtschaffener Ned Stark in «Game of Thrones» ins absolute Gegenteil und hat sichtlich Spass an der intriganten Figur des Joseph Wilford.
«Die zweite Staffel entfernt sich stark vom Räuber-und-Gendarm-Charakter der ersten Folgen und ist dafür geprägt von spannenden politischen Intrigen und einer aufwühlenden revolutionären Stimmung.»
Der ideologische Kampf um das Überleben der letzten Menschen ist an diesem Punkt schon längst entbrannt, doch nach Wilfords Einstand wird er an allen Fronten mit harten Bandagen geführt. Ab da drückt auch vermehrt der leicht überdrehte Comic-Charakter der Geschichte durch, etwa wenn verrückte Wissenschaftler einen von Wilfords Gefolgsleuten durch unmenschliche Experimente für den gefährlichen Einsatz ausserhalb des Zuges abhärten. Das wirkt dank der stetig hoch gehaltenen Spannungskurve nicht deplatziert, sondern hält immer wieder vor Augen, dass die Geschichte in einer äusserst skurrilen Umgebung angesiedelt ist.
Dass sich die beiden Staffeln punkto Aufbau und Dramaturgie deutlich unterscheiden, sorgt für Abwechslung, und die Spannungsschraube wird oft und in den richtigen Momenten angezogen. Das unterhält über weite Strecken sehr gut, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Kerngeschichte schon oft und häufig auch schon besser erzählt wurde. Denn die Serie ringt dem Überlebenskampf nach der Apokalypse nebst dem Setting nicht viel Neues ab und kann auch formell nicht mit dem Film von 2013 mithalten.
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Jetzt auf Netflix
Serienfakten: «Snowpiercer» (Staffeln 1–2) / Creators: Josh Friedman, Graeme Manson / Mit: Jennifer Connelly, Daveed Diggs, Iddo Goldberg, Mickey Sumner, Sean Bean, Alison Wright, Lena Hall, Sheila Vand, Susan Park / USA / 20 Episoden à 44–51 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix / David Bukach/TNT
Bei weitem nicht so stark wie die Filmversion, und auch sonst nicht viel Neues in der Apokalypse – dennoch solide Unterhaltung dank guten Spannungsmomenten und Abwechslung in der Erzählweise.
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