Frischer Wind im Superheld*innen-Genre! Die britische Serie «Supacell» ist Milieustudie, Sozialdrama und All-Black-Epos zugleich. Sie begleitet fünf komplett unterschiedliche Figuren, die über Nacht unfreiwillig Superkräfte erlangen. In erster Linie befasst sich das Seriendebüt von Rapman aber mit den täglichen Herausforderungen der Schwarzen Community im aussichtslosen Süden Londons und schafft den wichtigen Spagat zwischen Entertainment und Awareness.
Wer sein erstes Filmprojekt «Blue Story» (2019) über die Geschichte zweier verfeindeter Gangs gesehen hat, weiss, dass Andrew Onwubolu alias Rapman grosses Talent hat, wenn es um schwierige Geschichten aus der Perspektive sozial Benachteiligter geht. Trotz hervorragender Kritiken fiel der Kinoexport nach der Veröffentlichung aberins Wasser. Der Grund: COVID-19.
Nun scheint der wohlverdiente internationale Erfolg aber verspätet doch noch einzutreten. Rapmans Seriendebüt «Supacell» beweist erneut, dass der britische Rapper seinen Job als Regisseur und Drehbuchautor mehr als nur verstanden hat. Zudem bringt er frischen Wind in das längst übersättigte Superhero-Genre. Das garantiert beste Unterhaltung – und vielleicht sogar den nächsten Hype?

Nadine Mills in «Supacell» / © 2024 Netflix, Inc.
Sabrina (Nadine Mills) lebt für ihren Job als Krankenschwester, Tazer (Josh Tedeku) für sein kriminelles Dasein als Bandenchef. Der junge Rodney (Calvin Demba) dealt, Andre (Eric Kofi-Abrefa) hat finanzielle Sorgen als alleinerziehender Vater. Und Michael (Tosin Cole)? Der hat sich soeben mit Sozialarbeiterin Dionne (Adelayo Adedayo) verlobt. Unterschiedlicher könnten die fünf Hauptfiguren der neuen Netflix-Serie «Supacell» nicht sein. Gemeinsam haben sie neben ihrer dunklen Hautfarbe und dem Wohnort im verarmten Südlondon trotzdem etwas: Sie verfügen über individuelle Superkräfte, die aktiviert werden, wenn ihre Augen gelb aufleuchten – und sie sind aufeinander angewiesen, um zu überleben.
Während Marvel, DC & Co. nach wie vor auf ausgelutschte Erzählweisen und hundertfach kopierte Abenteuer setzen, überrascht «Supacell» mit einem neuen Ansatz. Im Zentrum stehen nicht die (teils etwas dürftig ausgefallenen) Spezialeffekte, sondern die Figuren und deren Probleme. Analog zu einer radikal ehrlichen Milieustudie finden wichtige Themen wie struktureller Rassismus oder die Perspektivenlosigkeit auf den Strassen Südlondons Eingang in die Handlung. In den meisten Fällen geschieht diese Verschmelzung von gesellschaftlichen Problemen und Science-Fiction zwar etwas zu oberflächlich, doch das Ganze ist ein ansprechender Anfang zur allgemeinen Sensibilisierung. Die Serie beweist, dass jeder Mensch das Recht auf übernatürliche Fähigkeiten hat – und deswegen noch lange kein Held und keine Heldin sein muss.
«Die Serie beweist, dass jeder Mensch das Recht auf übernatürliche Fähigkeiten hat – und deswegen noch lange kein Held und keine Heldin sein muss.»
Alles in allem erfüllt «Supacell» genau das, was man sich von einem solchen Projekt wünscht. Die Serie zeigt Missstände auf, ohne allzu belehrend zu wirken. Sie bietet Unterhaltung, ohne die Augen vor der Realität zu verschliessen. Wer Serien mag, die Sozialkritik und Science-Fiction gleichermassen thematisieren, sollte unbedingt einschalten. Es lohnt sich in vielerlei Hinsicht und bietet enormes Potenzial.

Tosin Cole in «Supacell» / © 2024 Netflix, Inc.
Im Hinblick auf Staffel zwei bleibt allerdings zu hoffen, dass die Abmischung des Sounds verfeinert und das etwas holprige Storytelling weiterentwickelt wird. Und dass es überhaupt zu einer zweiten Staffel kommt. Wenn nicht, wäre das offene Ende nämlich ziemlich unbefriedigend – immerhin bleiben viele Fragen unbeantwortet.
«Neue Massstäbe setzt ‹Supacell› auch in der Machart: Die Nutzung von speziell entwickelten ARRI-35-Kameras ermöglicht es, die Vielfalt an Farbtönen dunkler Haut deutlich besser hervorzuheben.»
Übrigens: Neue Massstäbe setzt «Supacell» auch in der Machart: Die Nutzung von speziell entwickelten ARRI-35-Kameras ermöglicht es, die Vielfalt an Farbtönen dunkler Haut deutlich besser hervorzuheben. Das erklärt Kameramann Aaron Reid im Interview mit «Metro». «Supacell» ist also ein Projekt, das sich traut, neue Wege einzuschlagen – und genau das braucht es, um der Schwarzen Community ihren festen Platz in der Industrie zu gewähren, der ihr schon lange zusteht.
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Serienfakten: «Supacell» / Creator: Rapman / Mit: Tosin Cole, Nadine Mills, Eric Kofi-Abrefa, Calvin Demba, Josh Tedeku, Adelayo Adedayo, Eddie Marsan / Grossbritannien / 6 Episoden à 46-59 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix © 2024
Zwar wirbelt Rapman die Superheld*innen-Welt mit «Supacell» gehörig auf und spricht wichtige gesellschaftliche Themen an, aber in einigen Punkten ist noch Luft nach oben vorhanden.
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