Cleveres Marketing und eine nervös-fiebrige Camcorder-Ästhetik sorgten 2008 dafür, dass „Cloverfield“, der von J. J. Abrams produzierte Found-Footage-Monsterfilm, zu einem Meilenstein des Web 2.0-Kinos wurde. „10 Cloverfield Lane“, das späte Sequel, überzeugt als einer der kreativsten Fortsetzungsfilme der letzten Jahre.
Eine kurze Rückschau: Als „Cloverfield“ im Januar 2008 nach Monaten der Spekulation – vage Informationen und ständige Titelwechsel generierten einen gigantischen Online-Hype – endlich anlief, bekamen die Zuschauer einen mitreissenden, wenn inhaltlich auch nicht bahnbrechenden, Cinéma-vérité-Horrorfilm zu sehen. Eine Gruppe junger New Yorker, einer davon mit einer Handkamera bewaffnet, erleben hautnah mit, wie ein riesiges ausserirdisches Monster Manhattan dem Erdboden gleich macht. Verkauft wird einem der Film als ein vom US-Verteidigungsministerium entdecktes Videodokument einer Katastrophe mit dem Codenamen „Cloverfield“.
Und jetzt also „10 Cloverfield Lane“, der auf einer ebenso einfachen wie brillanten Idee basiert: Wohl wissend, dass der Erfolg von Matt Reeves‘ Original nicht mit formelhaften Wiederholungen à la „Paranormal Activity“ zu reproduzieren ist, haben sich Abrams und Regisseur Dan Trachtenberg dazu entschieden, die Perspektive komplett zu verschieben. Aus New York wird der amerikanische Süden, statt Bewegung herrscht Stillstand, der Monster-Horror weicht klassischen Thriller-Versatzstücken – „Misery“ lässt grüssen –, und an die Stelle von Found Footage tritt eine klassische, unsichtbare, objektive Kamera.
Diese erzählt von Michelle (Mary Elizabeth Winstead), die sich nach einem Autounfall zusammen mit dem naiven Emmett (John Gallagher Jr.) im unterirdischen Bunker des Farmers Howard (John Goodman liefert eine der besten Darbietungen seiner Karriere ab) wiederfindet. Dieser ist davon überzeugt, dass draussen ein apokalyptischer Anschlag stattgefunden hat, durch den die Luft verseucht wurde und das Land unbewohnbar geworden ist. Doch Michelle wird das Gefühl nicht los, Opfer einer Entführung geworden zu sein.
Ursprünglich hätte dieser beklemmende Psychothriller, geschrieben von Josh Campbell, Matt Stuecken und Damien Chazelle („Whiplash“), den Titel „The Cellar“ tragen sollen; eine Verbindung zu Abrams‘ „Cloverfield“-Universum war nicht vorgesehen; angeblich waren selbst die Schauspieler bis kurz vor der Trailer-Premiere nicht sicher, ob sie in einem Sequel mitspielten oder nicht.
Es ist diese Unsicherheit, die erheblich zur Faszination des Films beiträgt. Als Zuschauer, die von der Existenz von „Cloverfield“ allermindestens wissen, glauben wir, eine Ahnung zu haben, wovor sich Howard in seinen wohnlich eingerichteten Katakomben verschanzt. Doch dieses Wissen erweist sich auch als verwirrend: Von Giftgas war im ersten Teil nie die Rede; das Godzilla-ähnliche Monster sah nicht danach aus, als könnte es einen koordinierten Angriff auf die Menschheit orchestrieren – die Spannung, die auch von der etwas allzu emphatischen Musikuntermalung nicht gemindert wird, erwächst aus der Reibung zwischen Vorwissen und Voreingenommenheit. Die von Abrams und Trachtenberg verneinte Frage, ob Original und Fortsetzung in der gleichen Welt angesiedelt sind, wird nicht beantwortet. Es ist zu hoffen, dass solch intelligente Sequel-Kultur in Hollywood Schule machen wird.
Seit dem 31. März in den Deutschschweizer Kinos.
Bildquelle: Universal Pictures International Switzerland
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