Das unvollendete Manuskript «Remember This House» des US-Autors James Baldwin wurde zum Dokumentarfilm «I Am Not Your Negro» adaptiert – einem aufwühlenden Porträt des amerikanischen Rassismus.
In den USA, wie in den meisten westlichen Ländern, herrscht White Supremacy – eine Kultur, in der Rassismus in praktisch sämtlichen Bereichen der Gesellschaft tief verwurzelt ist. Dass unverhältnismässig viele Schwarze hinter Gittern sitzen (oder Opfer von Polizeigewalt werden) – siehe Ava DuVernays «13th» –, dass Weisse in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst massiv überrepräsentiert sind, dass eine Mehrheit der weissen Wähler 2016 für den Rassisten Donald Trump gestimmt haben – das alles sind die Folgen einer jahrhundertelangen Geschichte von systematischer, struktureller Unterdrückung.
Kaum jemand hat diesen Zustand so präzise und eloquent beschrieben wie James Baldwin (1924–1987), der sich vom Anfang seiner Karriere als Schriftsteller in den Fünfzigerjahren bis zu seinem Tod im französischen Exil stets für die Bürgerrechte von Minderheiten, insbesondere von Schwarzen und der LGBTQ+-Gemeinschaft, einsetzte. In «Remember This House» wollte der Autor von Nachkriegsklassikern wie «Go Tell It on the Mountain» (1953) und «Giovanni’s Room» (1956) den mit ihm befreundeten, allesamt ermordeten Civil-Rights-Ikonen Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. ein literarisches Denkmal setzen.
Der haitianische Regisseur Raoul Peck («Lumumba», «Sometimes in April», «Le jeune Karl Marx») fügt den von Samuel L. Jackson stimmig vorgelesenen Worten Baldwins – sowohl «Remember This House» als auch anderen seiner Texte entnommen – Archivaufnahmen von schwarzen Protesten und weissen Gegenprotesten, popkulturelle Darstellungen von Schwarzen sowie aktuelle Bilder hinzu. So entsteht eine faszinierende Filmcollage, durchsetzt von Fernsehauftritten von Baldwin selbst, die ruhig – aber mit unterschwelligem Zorn – den Mythos des ‹post-racial America› demontiert. Lincolns Sklavenbefreiung beendete die Benachteiligung der Afroamerikaner ebenso wenig wie der Civil Rights March, Lyndon B. Johnsons Civil Rights Act, die Oscars für Sidney Poitier und Denzel Washington und die Wahl und Wiederwahl Barack Obamas.
Der Punkt, so Baldwin, ist, dass das weisse Amerika bis heute – einerlei, ob man darunter 1967, 1987 oder 2017 versteht – nicht akzeptieren kann, dass seine Geschichte und die von ‹Black America› untrennbar miteinander verbunden sind. Amerika ist nur so gut, wie es Menschen wie Baldwin, Evers, King, Malcolm X, Trayvon Martin, Eric Garner, Sandra Bland oder Alton Sterling behandelt.
So entlassen einen Baldwin, Peck und Jackson tief berührt, erschüttert und in Gedanken versunken aus dem Kino, mit der essenziellen Frage im Hinterkopf: «Why was it necessary to have a n–gger in the first place? Cause I’m not a n–gger. I’m a man.»
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Kinostart Deutschschweiz: 13.4.2017
Filmfakten: «I Am Not Your Negro» / Regie: Raoul Peck / Mit: James Baldwin, Samuel L. Jackson / USA / 93 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sister Distribution
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