Mit dem schnörkellosen Sozialdrama «Der Büezer» legt der 28-jährige Zürcher Hans Kaufmann einen ambitionierten, geradezu unschweizerisch kantigen Erstling vor. Es ist dieser gesunde Ehrgeiz, der für die etwas gar saloppe Charakterstudie im Kern des Films entschädigt.
Zürich ist ein hartes Pflaster. Das muss Patrick «Sigi» Signer (ein ausgezeichneter Joel Basman) am eigenen Leib erfahren. Seit dem Tod seiner Eltern ist der junge Bauarbeiter gänzlich auf sich alleine gestellt: Mit seinen ungestümen Kollegen auf dem Bau kommt er mehr schlecht als recht zurecht; als «Büezer» hat er bei den Frauen kaum eine Chance; seine Abende verbringt er Bier trinkend und kiffend in seiner karg eingerichteten Hochhauswohnung.
«Hans Kaufmann hat ein gutes Gespür dafür, urbane Einsamkeit filmisch einzufangen.»
Hans Kaufmann, augenscheinlich auf den Spuren der Stadtnomaden-Porträts von Lisa Blatter («Skizzen von Lou») und Cyril Schäublin («Dene wos guet geit»), hat ein gutes Gespür dafür, urbane Einsamkeit filmisch einzufangen. Obwohl, wie so oft im Schweizer Gegenwartskino, die Versuchung für das einheimische Publikum gross ist, sich nach bekannten Lokalitäten umsehen zu wollen, verschwimmen die geografischen Details überwiegend im Hintergrund. Ein bisschen Langstrasse hier, eine Ecke Oerlikon da – doch im Fokus steht oft nur der zurückhaltende Sigi, überragt und zumeist ignoriert von seinen Mitmenschen, verloren in der grössten Stadt der Schweiz, die Kaufmann und Kameramann Pascal Walder in einen anonymen betonfarbenen Moloch verwandeln. Selbst die Freikirche, die Sigi einer Tinder-Bekanntschaft (Cecilia Steiner) zuliebe besucht, lobpreist Jesus nicht in feierlichem Ambiente, sondern in einem austauschbaren Industriebau irgendwo in Altstetten.
In diesen beobachtenden Momenten, in denen Sigi seinem Alltag nachgeht – und langsam den Verlockungen des windigen Geschäftemachers Walti (Andrea Zogg) erliegt –, funktioniert «Der Büezer» am besten. Hier trifft atmosphärisches Filmemachen auf eine erfrischend nüchterne, weder überzeichnet noch allzu moralisierend wirkende Vision der modernen Schweiz. Bliebe der Film diesem Konzept im Grossen und Ganzen treu, wäre auch das stete Anhäufen immer neuer Konfliktfelder, die sich in 83 Minuten unmöglich überzeugend abarbeiten lassen, zu verkraften.
«Als wäre irgendwo ein Kippschalter umgelegt worden, mutiert Sigi, angestachelt von fast schon plagiatsverdächtigen Drehbuchpassagen, zu einem kleinen Travis Bickle – allerdings ohne die moralischen Nuancen von Paul Schraders Originalskript.»
Problematisch wird «Der Büezer» aber, als Kaufmann, der neben der Regie auch für Drehbuch, Schnitt und Produktion zeichnet, städtische Isolation, Sektenfanatismus, Frauenhass und Kinderprostitution zu einem explosiven Finale zu verdichten versucht. Nicht nur ist das viel zu überhastet vorgetragen; Kaufmann verheddert sich hier auch in seiner unübersehbaren Hochachtung vor Martin Scorseses New-Hollywood-Meisterwerk «Taxi Driver» (1976). Als wäre irgendwo ein Kippschalter umgelegt worden, mutiert Sigi, angestachelt von fast schon plagiatsverdächtigen Drehbuchpassagen, zu einem kleinen Travis Bickle – allerdings ohne die moralischen Nuancen von Paul Schraders Originalskript. War Bickle ein zutiefst zwiespältiger Antiheld, scheint «Der Büezer» bis zur letzten Einstellung mit Sigi zu sympathisieren. Das eckt an wie kaum etwas im jüngeren Schweizer Filmschaffen – und bedarf, neben der verdienten Bewunderung für dieses Kunststück, viel kritischer Hinterfragung.
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Kinostart Deutschschweiz: 12.9.2019
Filmfakten: «Der Büezer» / Regie: Hans Kaufmann / Mit: Joel Basman, Cecilia Steiner, Andrea Zogg / Schweiz / 83 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Milieu Pictures
Getragen von einem starken Joel Basman, ist «Der Büezer» eine beeindruckende Milieustudie. Schade, dass das Ganze letztlich nur auf einen unreflektierten «Taxi Driver»-Verschnitt hinausläuft.
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