Eine Pariser Architektin kämpft mit den Tücken des Familienlebens, einem nicht ganz jugendfreien Springbrunnen und einer Stadt, in der das Ohrfeigenfieber ausgebrochen ist: An Experimentierfreude fehlt es «Notre dame» definitiv nicht. Das ist aber auch das Einzige, was man Valérie Donzellis chaotischer Burleske zugutehalten kann.
Als «Notre dame» im vergangenen August in Locarno Premiere feierte, muss die Welt, die Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin Valérie Donzelli sowie Co-Autor Benjamin Charbit dafür ersannen, noch wie eine absurde Überhöhung gewirkt haben – nicht komplett unrealistisch vielleicht, aber trotzdem noch entfernt genug, um über die ausnahmslos verheerenden Schlagzeilen, mit denen der Film beginnt, hohl lachen zu können: Hier sieht sich Paris konfrontiert mit gefährlichen Wetterkapriolen, ins Unermessliche steigenden Arbeitslosenzahlen, gigantischen Flüchtlingsströmen, einer Epidemie und noch vielem mehr. Jetzt aber, wo COVID-19 weite Teile der Welt monatelang lahmgelegt hat, derweil das «Land of the Free» jenseits des Atlantiks grosse Schritte in Richtung Polizeistaat macht, scheint diese Vision leider nicht mehr ganz so überzeichnet. Einzig der im Paris von Donzelli und Charbit verbreitete Trend, sich auf offener Strasse gegenseitig eine runterzuhauen, klingt noch nach dystopischer Science-Fiction.
Es ist verlockend, diese rasche Entwicklung dafür verantwortlich zu machen, dass «Notre dame» seinen Zweck als Komödie nicht erfüllt – zu sagen, dass die vorausblickende Satire zu schnell Realität geworden ist, um noch unterhalten zu können. Das wäre allerdings genauso haltlos, wie den Film als Satire zu bezeichnen.
«‹Notre dame› interessiert sich keinen Deut für die Welt, in der er spielt.»
Denn «Notre dame» interessiert sich keinen Deut für die Welt, in der er spielt. Die Katastrophenszenarien sind reine «witzige» Staffage für das ach so bewegte Leben der Protagonistin Maud Crayon (Donzelli), die nachts am Fenster ihrer üppigen Pariser Stadtwohnung sitzt und mit vagem Interesse die Obdachlosen unter ihr betrachtet – eine Szene, welche augenscheinlich nicht die egozentrische Ignoranz der Bourgeoisie aufs Korn nehmen soll, sondern hauptsächlich der Illustration der ungewöhnlichen Wetterbedingungen dient.
Tagsüber ärgert sich Maud über ihren dumpfbackigen Ex-Freund Martial (Thomas Scimeca) – primärer Charakterzug: nackt – und versucht, unbeschadet einen weiteren Tag als Angestellte im Architekturbüro des tyrannischen Greg (Samir Guesmi) hinter sich zu bringen. Doch als sie unter übernatürlichen Umständen den Zuschlag für die Neugestaltung der Notre-Dame-Promenade erhält – im Drehbuch stand wohl so etwas wie «Grund hier bitte noch einfügen» –, geht der Stress dank eines penisförmigen Brunnenentwurfs erst richtig los.
Es ist fast schon beeindruckend, mit wie vielen Mitteln Donzelli und Charbit hier versuchen – und daran scheitern –, ihr Publikum zum Lachen zu bringen. Stummfilm- und Musicaleinlagen, wacklige Lügengebilde, Feministenwitze, bizarrer Slapstick, nackte Hintern, durchgeknallte Nebenfiguren – die beiden ziehen alle Register und provozieren damit vor allem Augenverdrehen.
«Stummfilm- und Musicaleinlagen, wacklige Lügengebilde, Feministenwitze, bizarrer Slapstick, nackte Hintern, durchgeknallte Nebenfiguren – die beiden ziehen alle Register und provozieren damit vor allem Augenverdrehen.»
Das liegt zum einen daran, dass kaum ein Gag so wirkt, als sei er das organische Resultat von Figuren und Handlung. Vielmehr scheint es, als würde hier eine Checkliste von «typisch französischen» Marotten abgearbeitet, wie man sie aus «typisch französischen» Filmen wie «Amélie» (2001) oder «Potiche» (2010) kennt. Die Konsequenzen sind eine gänzlich inkohärente Erzählung, in der Kausalität und Motivation zunehmend über Bord geworfen werden, und ein formloses Mus aus am Reissbrett entstandenen Absurditäten, die das Ziel Mal um Mal verfehlen. Zum anderen legt «Notre dame» auch ein beleidigend antiquiertes Weltbild an den Tag, demzufolge Männer grundsätzlich qualifizierter sind als Frauen und nach dem es für eine Frau kein höheres Glück als eine heterosexuelle Beziehung mit Familiengründung geben kann.
Während das Komödiengenre als Ganzes derzeit vorab daran krankt, dass allzu oft versucht wird, Lacher aus unangenehmen Pausen statt aus wirklich witzigen Situationen zu gewinnen – ja, «Trainwreck» (2015), «Long Shot» (2019) und «Late Night» (2019), ihr seid gemeint –, geht «Notre dame» einen anderen Weg: Donzelli und Charbit glauben sehr wohl an die Macht des Witzes. Doch ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich vergeblich abmühen, einen zu landen, erweist sich als ebenso nervenzehrend.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.6.2020
Filmfakten: «Notre dame» / Regie: Valérie Donzelli / Mit: Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Thomas Scimeca, Bouli Lanners, Virgine Ledoyen, Isabelle Candelier / Frankreich, Belgien / 90 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films
Unmotivierte Absurditäten, flache Figuren und eine praktisch inexistente Handlung: «Notre dame» ist ein fast schon faszinierender Fehlschuss von einer Komödie.
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