Der Bundesrat hat beschlossen, dass am 6. Juni die Kinos wieder ihre Türen öffnen dürfen. Diese empfangen das Publikum nicht nur mit einem ausgefeilten Sicherheits- und Hygienekonzept, sondern auch mit einem kunterbunten Potpourri aus Prä-Lockdown-Filmen, grossen Neustarts und heimlichen Lieblingsfilmen. Bei dieser Vielzahl an tollen Streifen läuft Kinofans das Wasser im Munde zusammen – wir haben für euch das perfekte Menü zum Kinostart zusammengestellt. Ob ihr euch gleich am ersten Tag durcharbeitet oder es häppchenweise auf mehrere Tage aufteilt, überlassen wir euch. Bon Appétit!
Amuse-Bouche: «Ema y Gastón»
Vorsicht, heiss! Dieser Film weckt die Geschmackssinne: Ihre feurige Liebe droht, die beiden Protagonisten dieses agilen Wunderwerks von Pablo Larraín zu zerreissen. In der chilenischen Küstenstadt Valparaíso tanzen sich Ema (Mariana Di Girolamo) und Gastón (Gael García Bernal) – sie Tänzerin, er Choreograf – um Kopf und Kragen, stets damit hadernd, ihren Adoptivsohn ans Jugendamt verloren zu haben. Zwei traurige Seelen auf der Suche nach sich selbst. Ein energiegeladener, bittersüsser Film, der vor Leidenschaft nur so brodelt. / Zur ausführlichen Kritik
Als Entrée: «Richard Jewell»
Bitter wie ein Chicorée – das ist Clint Eastwood nicht nur vor der Kamera. Auch seine neue Regiearbeit «Richard Jewell» ist ein strenger Film, der die Nachwehen des Attentats anlässlich der Olympischen Spiele in Atlanta 1996 behandelt. Basierend auf wahren Ereignissen, wird die Titelfigur (dümmlich-charmant gespielt von Paul Walter Hauser) innert Stunden vom Helden zum Bösewicht: Eben noch dafür gefeiert, dass er die Bombe entdeckt hat und somit vermutlich zahlreiche Leben gerettet, gerät Richard Jewell unverhofft in den Fokus der Ermittler. Eine unglaublich packende Story, die gerne darüber hinwegsehen lässt, dass sie etwas gar fad inszeniert ist. Wie ein Chicorée eben.
Zur Vorspeise: «The Farewell»
Das riecht doch wie… zuhause? Erinnerungen an damals, an Vergangenes, auch an Vergessenes. Das gilt auch in «The Farewell», einem Film, in dem Liebe wirklich durch den Magen geht. Als bei ihrer Grossmutter Krebs diagnostiziert wird, reist die chinesisch-amerikanische Autorin Billi (Awkwafina) mit ihren Eltern zurück nach China, um sich zu verabschieden. Um der Grossmutter keine zusätzlichen Sorgen zu bereiten, beschliesst die Familie, ihr die Diagnose zu verheimlichen. Regisseurin Lulu Wang zaubert, basierend auf eigenen Erfahrungen, ein ebenso berührendes wie witziges Werk über Herkunft und Zugehörigkeit – und Kontinente überspannende Liebe. / Zur ausführlichen Kritik
Achtung: Nur noch in wenigen Kinos!
Als Hauptgang: «Parasite»
Die Hauptattraktion ist ein Film, der alle Sinne gleichsam betört – witzig, kritisch und voller unerwarteten Wendungen erzählt Bong Joon-ho in seinem Oscar-Abräumer «Parasite» von zwei ungleichen Familien aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die sich doch ähnlicher sind, als man meinen könnte. Mehr über den Film zu sagen, wäre Frevel – man muss es schon selbst erlebt haben. Aber Filmgourmets sind sich einig: «Parasite» muss man unbedingt degustiert haben. / Zur ausführlichen Kritik
Zum Dessert: «Onward»
Eine Nachspeise, die sich wie eine wohlige Decke um einen schlingt. «Onward», wohl Pixars Bester seit Langem, erzählt von einer kunterbunten Welt, die von Fantasiekreaturen bewohnt ist. Früher gab es hier einmal Magie – doch dank Strom und fliessend Wasser sind diese Zeiten längst vergessen. In dieser Welt schickt Dan Scanlon zwei Elfenbrüder auf eine Abenteuerreise – dabei suchen sie nach ihrem früh verstorbenen Vater, aber noch viel mehr nach sich selbst. Ein angenehm aufrichtiger und süsser Trickfilm. / Zur ausführlichen Kritik
Als Weinbegleitung: «120 battements par minute»
Oh là là – ein 2017er! Ein guter Jahrgang. Das Xenix ist in den Filmkeller gestiegen und hat einen edlen Tropfen hervorgeholt. Zur Feier der Wiedereröffnung zeigt das Zürcher Programmkino Lieblingsfilme – darunter auch Robin Campillos meisterliches Drama über die Arbeit von «ACT UP», einer Organisation, die sich im Paris der 1990er für eine stärkere Sichtbarkeit und Politisierung von AIDS einsetzt. «120 battements par minute» ist ebenso Feuerwerk der Sinne wie herzzerreissendes Sozialdrama – ein eindringlicher und radikaler Film, der dennoch sehr bitter im Abgang ist.
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Titelbild aus «Parasite» / © Filmcoopi
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