Nicolas Winding Refn, der Mann hinter Filmen wie «Drive» und «The Neon Demon», bringt seinen stimmungsvollen Stil mit «Too Old to Die Young» ins Serienformat. Das Resultat ist nichts für Zartbesaitete, doch es wird Refns Fans begeistern und seine Skeptiker die Hände verwerfen lassen – ganz im Sinne des polarisierenden Dänen also.
Einmal mehr zentriert Nicolas Winding Refn seine Geschichte um unmoralische und korrupte Charaktere, die sich in Situationen wiederfinden, für die Gewalt die einzige Antwort scheint. Miles Teller (bekannt aus «Whiplash») spielt den ebenso wortkargen wie tief ambivalenten Polizisten Martin Jones, der in die Machenschaften eines mexikanischen Drogenkartells verwickelt wird.
Wie es schon bei Ryan Gosling in Refns früheren Projekten «Drive» und «Only God Forgives» der Fall war, ist Tellers Schauspiel von stoischen Mienen geprägt, die wohl einige Zuschauer kalt lassen wird. Doch wird diese Ersthaftigkeit mit einem Schuss von tiefschwarzem Humor gemischt, der für unerwartet skurrile Momente und die nötige Auflockerung sorgt. So wird man langsam in den Bann der von einäugigen Attentätern (John Hawkes), rachsüchtigen Söhnen (Augusto Aguilera) und Lady Macbeth’schen Strippenzieherinnen (Cristina Rodlo und Jena Malone) bevölkerten Welt «irgendwo nördlich von Hollywood und westlich der Hölle» gezogen.
Mit seiner neuen Serie, die der dänische Regisseur selbst als überlangen Spielfilm beschreibt, versucht Refn aus den herkömmlichen Konventionen von Kinos und TV auszubrechen. Doch sorgt die Laufzeit von 15 Stunden nicht nur für zusätzliche Unterhaltung, sondern legt auch einige strukturelle Defizite offen. Es überrascht nicht, dass bei der Premiere in Cannes die mittleren Episoden 4 und 5 gezeigt wurden und nicht die Füller vom Anfang. Die Erklärung, dass diese Auswahl den Internetkonsum von Jugendlichen imitiere soll, wirkt eher als schlechte Entschuldigung für die anfänglichen Schwächen der Serie und ergibt zudem wenig Sinn, wenn man bedenkt, dass in der Ära von Online-Streaming kein Zwang zum Reinzappen besteht. Einfach gesagt, sind die mittleren Episoden am eindrücklichsten und zeigen Refns Talente als primär visueller Filmemacher am besten auf. Hier vergibt man den schleichenden Rhythmus, mit dem sich die Dialoge ergiessen, um endlich auf den Grund der Geschichte um korrupte Polizisten und rachsüchtige Gangster zu kommen.
«Mit seiner neuen Serie versucht Refn aus den herkömmlichen Konventionen von Kinos und TV auszubrechen. Doch sorgt die Laufzeit von 15 Stunden nicht nur für zusätzliche Unterhaltung, sondern legt auch einige strukturelle Defizite offen.»
Alles in allem ist «Too Old to Die Young» eher unbeständig und überzeugt nur in Teilen. Doch bleibt Refns einmalige Vision dank spektakulärer Kameraarbeit und der Musik von Komponist Cliff Martinez (seit «Drive» ein sicherer Wert in Refns Filmen), der die immer stimmungsvollen Bildern mit seinem Synthesizer-Sound unterlegt, seh- und hörenswert. Wer sich darauf einlassen will – und kann –, wird mit einem berauschenden Trip in die Abgründe von Refns düsterer Fantasie belohnt.
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Serienfakten: «Too Old to Die Young» / Regie: Nicolas Winding Refn / Mit: Miles Teller, Augusto Aguilera, Cristina Rodlo, John Hawkes, Jena Malone / USA / 900 Minuten (10 Episoden)
Bild- und Trailerquelle: Amazon Prime
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