An der Seite von Natalie Portman als weiblicher Thor schlüpft Chris Hemsworth erneut in die Rolle des Marvel-Donnergottes. In «Thor: Love and Thunder» kämpft der Superheld gegen einen götterschlachtenden Christian Bale – und gegen die eigene Belanglosigkeit.
Vielleicht ist es ja ein Indiz dafür, dass eine Franchise allmählich in Schwierigkeiten steckt, wenn ein Film zuerst mit einem minutenlangen Voiceover zusammenfassen muss, was bisher geschehen ist. Und wenn dann später gleich noch eine zweite solche Montagesequenz folgt. In beiden Sequenzen fasst Regisseur Taika Waititi («Jojo Rabbit») in «Thor: Love and Thunder» in seiner Sprechrolle des steinernen Riesen Korg die bisherigen Ereignisse im Leben des Superhelden-Gottes Thor zusammen.
Doch für wen eigentlich? Wer bisher noch keinen Marvel-Film, geschweige denn einen «Thor»-Film, gesehen hat, wird wohl kaum ausgerechnet beim 29. Kino-Eintrag dieser gigantischen Superheld*innen-Franchise einsteigen. Oder ist es, weil man selbst den Fans nicht mehr zutraut, dass sie den Überblick noch haben? So oder so: Das Marvel Cinematic Universe (MCU) ist inzwischen so gross geworden, dass man sich doch fragen muss: Wohin soll es mit dieser Franchise überhaupt noch gehen?
«Das Marvel Cinematic Universe ist inzwischen so gross geworden, dass man sich doch fragen muss: Wohin soll es mit dieser Franchise überhaupt noch gehen?»
Die Zeichen stehen nicht gut: Schon seit einer Weile – genauer gesagt, seit dem Ende von «Avengers: Endgame» (2019) und dem Abschluss seines über 22 Filme hinweg aufgebauten Thanos-Plots – dümpelt das MCU vor sich hin. Die Franchise schlingert in ihren Filmen und Miniserien von Andeutung zu Andeutung, ohne eine handfeste Bedrohung vorzulegen, die rechtfertigen würde, dass wir uns noch immer mit diesen Geschichten befassen. Denn, und das ist die Kehrseite der Medaille nach 14 Jahren, 29 Filmen und zahlreichen TV-Abstechern: Irgendwie hat man alles schon zigmal gesehen.
An der Marvel’schen Formelhaftigkeit ändert sich auch mit «Thor: Love and Thunder», der zweiten Marvel-Regiearbeit von Taika Waititi wenig. Einmal mehr muss sich ein wackerer Held – hier ist es der von Chris Hemsworth («Rush») gespielte Donnergott Thor – gegen einen übermächtigen, beleidigten Sonderling – diesmal heisst dieser Gorr und wird von Christian Bale («Ford v Ferrari») gespielt – behaupten, der zwar nicht gerade das Universum, aber doch immerhin sämtliche Götter und Gottheiten auslöschen will. So weit, so bekannt.
Doch keine Angst: «Thor: Love and Thunder» bietet auch viele dieser launigen Geistesblitze, für die man Taika Waititi einfach gern haben muss. Der neuseeländische Filmemacher ist, wenn auch mittlerweile stark von seiner Zeit in Hollywood geprägt, noch immer ein Garant für sonderbaren Humor und unkonventionelle Ideen. Und so bekommen wir es auch hier mit Eulen-Biker-Gangs zu tun und erleben Ziegen, die gegen Monde prallen – und einen eifersüchtigen Hammer.
«Keine Angst: ‹Thor: Love and Thunder› bietet viele dieser launigen Geistesblitze, für die man Taika Waititi einfach gern haben muss. Der neuseeländische Filmemacher ist, wenn auch mittlerweile stark von seiner Zeit in Hollywood geprägt, noch immer ein Garant für sonderbaren Humor und unkonventionelle Ideen.»
Die Gagdichte in «Thor: Love and Thunder» ist gross – nur schade, dass sich der Film zu sehr auf seinen Humor verlässt, sodass seine Story nie wirklich in die Gänge kommt. Hinzu kommt, dass überraschend viele dieser Pointen nicht zünden – wie etwa, wenn sich der allmächtige Thor überheblich und arrogant anstellt oder eine Heldin nach einer Catchphrase sucht. Ganz zu schweigen vom bemüht witzigen Gastauftritt von Matt Damon, Luke Hemsworth, Sam Neill und Melissa McCarthy als talentbefreite Schauspieler*innen-Riege. Comedy-Gold geht anders.
Dabei passiert in «Thor: Love and Thunder» im Grunde gar nicht so wenig: Der zweistündige Film hat ein zackiges Tempo und hetzt von Set-Piece zu Set-Piece. Irgendwo im Universum kämpft Thor mit den Guardians of the Galaxy für Gerechtigkeit, Russell Crowe («Unhinged») gibt sich – zwar mit missglücktem Akzent, dafür aber mit viel Selbstironie – als selbstverliebter Göttervater Zeus die Ehre, und nicht zuletzt kehrt auch die von Natalie Portman («Jackie») gespielte Jane Foster zum ersten Mal seit ihrem Auftritt in «Thor: The Dark World» (2013) zurück. Dass Portman, die mit ihrer Rolle nie warm wurde, wieder an Bord ist, liegt wohl daran, dass sie diesmal mehr als einfach nur das Götter-Gspusi sein darf – vom Götterhammer Mjölnir zur neuen Thor-Inkarnation erkoren, kämpft sie diesmal auch an vorderster Front mit.
Was nach einer der interessantesten Ideen im Marvel-Kosmos seit Langem klingt, krankt aber daran, dass man Portman anmerkt, dass sie die Sache möglichst schnell hinter sich bringen will. Wer dachte, dass die Schauspielerin plötzlich doch noch ihre Liebe für das Superhelden-Universum entdeckt hat, dürfte enttäuscht werden. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Gage gross genug war.
«Portmans Auftritt als Mighty Thor ist auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich ‹Thor: Love and Thunder› als feministischer Beitrag ans Marvel-Universum verstanden haben will.»
Portmans Auftritt als Mighty Thor ist auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich «Thor: Love and Thunder» als feministischer Beitrag ans Marvel-Universum verstanden haben will. Das soll eine lange Sequenz, in der die beiden Heldinnen Jane Foster und Valkyrie (Tessa Thompson) ihre Schwesternschaft beschwören, unterstreichen. Dass der Film darauf mächtig stolz ist, daraus macht er keinen Hehl.
Doch ähnlich wie «Avengers: Endgame» mit seiner Team-up-Szene, in der sich alle weiblichen Heldinnen für ein bisschen Szenenapplaus in heroische Posen schmeissen, betreibt «Thor: Love and Thunder» auch hier mehr Effekthascherei als wirkliche feministische Entertainment-Arbeit. Denn letztlich macht der Film nichts anderes, als das, was zahlreiche Superheld*innen-Filme vor ihm auch schon taten: Die weiblichen Figuren werden zur Seite gerückt, damit der männliche Held im Scheinwerferlicht stehen kann. Das ist nicht schlimmer oder verwerflicher, als was Blockbuster ansonsten tun – aber halt auch nicht besser.
Immerhin gibt sich der Film bei der Figurenzeichnung der bisexuellen Valkyrie mehr Mühe. Waititi und seine Co-Autor*in Jennifer Kaytin Robinson nutzen die leider etwas spärlich gestreuten Momente, in denen die von Tessa Thompson («Creed») gespielte Heldin zu sehen ist, um ihr Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Wenn eine Figur in diesem Kosmos mehr Aufmerksamkeit verdient hätte – sei das in Form eines Films oder einer Serie –, dann ist es Valkyrie.
Genug Aufmerksamkeit gibt es indes für Chris Hemsworths Donnergott, für den das schon der vierte Solo-Auftritt ist – und sein neunter im MCU insgesamt. Kein Avenger hat bislang mehr Einzelfilme gewidmet bekommen, was auch daran liegen dürfte, dass der Schauspieler als einer der einzigen originalen Helden überhaupt noch zur Verfügung steht. Während viele seiner Mitstreiter*innen spätestens nach «Avengers: Endgame» ihre Kostüme an den Nagel hängten (womöglich auch in der Hoffnung, bei der Rollenwahl in Zukunft nicht dauernd auf ihre Marvel-Figur reduziert zu werden), gibt Hemsworth auch elf Jahre nach seinem Debüt noch immer den Donnergott. Und allmählich merkt man ihm die Abnutzung an: Die Spielfreude, die er noch in «Thor: Ragnarok» (2017) an den Tag legte, sie fehlt hier.
«Immerhin einer hat Spass: Zum ersten Mal seit 2012 darf Christian Bale wieder in einem Superheld*innen-Film mittun – und der ehemalige Batman-Darsteller dankt es mit einer wunderbar schauderhaften und doch irgendwie berührenden Darbietung als schlaksiger Bösewicht, der mit Nekroschwert und Schattenmonstern sein Unwesen treibt.»
Aber immerhin einer hat Spass: Zum ersten Mal seit 2012 darf Christian Bale wieder in einem Superheld*innen-Film mittun – und der ehemalige Batman-Darsteller dankt es mit einer wunderbar schauderhaften und doch irgendwie berührenden Darbietung als schlaksiger Bösewicht, der mit Nekroschwert und Schattenmonstern sein Unwesen treibt. Gorr ist eindeutig einer der interessanteren Schurken im Marvel-Universum, und das verdanken wir in erster Linie seinem Darsteller.
Doch auch Bales solide Performance kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles, was dieser Bösewicht – und mit ihm der Film – macht, ziemlich belanglos ist. Dass Marvel auch nach sechs Filmen und ebenso vielen Miniserien noch immer nicht genau zu wissen scheint, wohin es mit «Phase 4» gehen soll, ist ernüchternd. Für Komplettist*innen ist «Thor: Love and Thunder» somit, dank einiger guter Einfälle und Gags sowie einem beeindruckenden Christian Bale Pflicht – für alle anderen wäre nun eine gute Gelegenheit, aus dem Marvel-Zirkus auszusteigen.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.7.2022
Filmfakten: «Thor: Love and Thunder» / Regie: Taika Waititi / Mit: Chris Hemsworth, Christian Bale, Tessa Thompson, Jaimie Alexander, Taika Waititi, Russell Crowe, Natalie Portman / USA / 119 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Disney Schweiz / © 2022 Marvel Studios. All Rights Reserved.
Thors viertes Abenteuer hangelt sich von Pointe zu Pointe, ohne über die Belanglosigkeit der Franchise hinwegzutäuschen. Zum Glück gibt es die Lichtblicke Christian Bale und Tessa Thompson.
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